Weltmeister, Spitzenköche und Brandstifter
Die Berliner Woche blickt zurück auf die vergangenen zwölf Monate
Eine neue Stadträtin, Parkraumbewirtschaftung, Urteile gegen zwei Rechtsextremisten: Im Jahre 2024 gab es etliche ganz unterschiedliche Ereignisse in Neukölln, die bemerkenswert sind. Die Berliner Woche wirft einen Blick zurück.
Januar
Die Vivantes-Geburtskliniken ziehen Bilanz: Im vergangenen Jahr sind dort 10 122 Kinder zur Welt gekommen. Neukölln liegt mit 2837 Babys nach Friedrichshain auf Platz zwei. Etwas berlinweit Einzigartiges ist der Hebammenkreißsaal. Seit einigen Woche können Frauen dort ihre Kinder möglichst natürlich und ohne die Anwesenheit einer Ärztin oder eines Arztes gebären.
Auf einem abschließbaren Grundstück an der Herzbergstraße stellt das Bezirksamt sechs hölzerne Übernachtungsboxen für obdachlose Menschen auf. Sie messen drei Quadratmeter und bieten gerade einmal Platz für eine Pritsche und einige Ablagebretter. Doch dort sind die Nutzer relativ sicher – vor Gewalt, Wind und Wetter.
Februar
Neukölln erhält am 1. Februar seine ersten Parkraumbewirtschaftungszonen im Reuterkiez und Donau-/Flughafenkiez. Dort zahlen „Fremdparker“, also Menschen ohne Anwohnerausweis, 75 Cent pro Viertelstunde. Am 1. Mai folgt der Weserkiez.
Riesenerfolg für die SG Neukölln: Die 23-jährige Schwimmerin Angelina Köhler ist Weltmeisterin. In Doha, der Hauptstadt von Katar, brauchte sie für 100 Meter Schmetterling 56,28 Sekunden. Die letzte Deutsche, die sich einen Weltmeistertitel erschwamm, war Britta Steffen (2009), ebenfalls von der SG Neukölln.
Mitarbeiter des Neuköllner Grünflächenamts entdecken in der Hasenheide eine vier Meter lange tote Würgeschlange. Veterinäre stellen fest, dass der Tigerpython bereits gestorben war, bevor er abgelegt wurde. Verendet ist er an einer Blutvergiftung, ausgelöst durch Salmonellen.
März
Der Neubau des Jugendclubs NW80 am Neudecker Weg eröffnet. Zuvor haben sich junge Rudower fast 40 Jahre lang mit einem Container zufriedengeben müssen. Jetzt können sie Werkstätten, Küche, Sport- und Tanzraum nutzen. Auch einen Kinderclub für Mädchen und Jungen ab sieben Jahren gibt es.
Die gemeinnützige Gesellschaft Kubus hat zwar einen Foodtruck, aber wegen Sparmaßnahmen des Senats kein Geld für Lebensmittel. Glück im Unglück: Berliner Spitzenköche wie Ralf Zacherl springen ein und kochen die rund 200 Portionen Suppe und Eintopf, die der Truck jede Woche an arme Menschen auf dem Karl-Marx-Platz verteilt.
April
In der Grünanlage auf dem Wildenbruchplatz wird eine Blühwiese angelegt, die Lebensraum für Insekten und andere Tierchen bietet. Die Wiese ist die neunte ihrer Art. Weitere liegen am Venusplatz in der Köllnischen Heide, in Britz im Park am Buschkrug, an der Gielower Straße und am Treseburger Ufer sowie im Grünzug Britz-Buckow-Rudow.
Die evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ist die erste deutsche Landeskirche, die einen Armutsbeauftragten beruft. Es ist Thomas de Vachroi, der sich bereits seit Jahren in Neukölln besonders für Obdachlose und Bedürftige einsetzt.
Menschen in der Weißen Siedlung demonstrieren gegen ihre Vermieterin, die Adler Group. In einem Brandbrief fordern sie, die untragbaren Zustände zu beheben. Die Mängelliste reicht von Schimmel und undichten Fenstern über kaputte Heizungen und verstopfte Abflussrohre bis zu verdreckten Treppenhäusern und vermüllten Grünflächen. Das Bezirksamt sagt den Mietern Unterstützung zu.
Mai
Im Neubau der Clay-Schule am Neudecker Weg 22 eröffnet der „Lern- und Ge-denkort NS-Zwangsarbeit in Rudow“. Dieser erinnert daran, dass in den Jahren 1941 bis 1943 auf dem Gelände, damals Teil des Eternit-Werks, Zwangsarbeiter aus unterschiedlichen Ländern unter menschenunwürdigen Bedingungen leben mussten.
Lebendig und praxisnah: Dieses Lob der Jury ernten die Lehrerinnen Leonie Bücker und Nina Wegener für ihr Unterrichtsprojekt „Grüne Chemie – für mich, für dich und unsere Zukunft“ am Britzer Albert-Einstein-Gymnasium. Sie gehören zu den 25 Frauen und Männern, die mit dem Deutschen Lehrkräftepreis ausgezeichnet werden.
Juni
Die Sommer werden heißer, in den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Zahl der Hitzetage in der Hauptstadt fast verdreifacht. In Neukölln sind besonders der stark bebaute Norden und Britz betroffen. Deshalb veröffentlicht das Bezirksamt seinen ersten Hitzeschutzplan.
13 sogenannte Brennpunktschulen in Neukölln werden in das milliardenschwere „Startchancen-Programm“ von Bund und Ländern aufgenommen. Dabei sind die Theodor-Storm-Schule, Hans-Fallada-Schule, Sonnen-Schule, Silberstein-Schule, Schule am Teltowkanal, Löwenzahn-Schule, Walter-Gropius-Schule, Otto-Hahn-Schule, Heinrich-Mann-Schule, Röntgen-Schule, Zuckmayer-Schule, Kepler-Schule und Schule am Zwickauer Damm.
Juli
Am 1. Juli öffnet sich am Kleiberweg das Sportbad Britz an Werktagen und in den Vormittagsstunden für die Öffentlichkeit. Bisher durften es nur Mitglieder der Neuköllner Schwimmgemeinschaft sowie Kita- und Schulgruppen nutzen. Der Eintritt kostet sechs, ermäßigt drei Euro.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (Bund) siedelt sich auf dem ehemaligen Kindl-Areal an. Ursprünglich gab es den Plan, ein Bestandgebäude zu kaufen. Doch die jahrelange Suche verlief erfolglos. Deshalb wurde entschieden, an der Rollbergstraße zu bauen. Der Einzugstermin ist im Jahre 2026.
Grundsteinlegung auch an der Buschkrugallee: Nach vielen Jahren des Stillstands und der Verzögerungen werden auf dem Gelände des abgerissenen Spaßbads „Blub“ nun 860 Mietwohnungen errichtet.
August
Die BVG baut das Jelbi-Netz im Schillerkiez aus. Davon profitieren besonders die Fußgänger, die sich immer wieder über wild abgestellte Leihfahrzeuge ärgern. Nun gibt es alle 200 Meter eine Jelbi-Station, was die Voraussetzung für eine digitale Parkverbotszone ist. Das heißt: Die Miete für E-Scooter & Co. kann nur noch an einem Jelbi-Punkt beendet werden.
Das Bezirksamt hat seine städtebaulichen Leitlinien überarbeitet. Zur Anwendung kommen sie bei Genehmigungen von Dachausbauten, Gebäudeaufstockungen oder Lückenschließungen. Eines der Ziele ist, weitere Mikro-Apartments und möblierte Luxus-WGs zu verhindern.
Seit 35 Jahren gibt es im Körnerpark die Konzertreihe „Sommer im Park“. In diesem Jahr hat der Bezirk den Rotstift angesetzt und nur sechs statt der üblichen zwölf Veranstaltungen finanziert. Freunde des Spektakels befürchten das endgültige Aus und haben eine Online-Petition gestartet.
September
Die Nachricht der Senatsverwaltung, eine Containerunterkunft für rund 470 Geflüchtete auf einem Parkplatz am Sangershauser Weg zu bauen, gefällt etlichen Anwohnern nicht. Richtig sauer werden sie, als auch noch eine Infoveranstaltung schiefläuft: Die Tonanlage ist so schlecht, dass die Redner nicht zu verstehen sind. Das Bezirksamt veröffentlicht danach auf seiner Internetseite die wichtigsten Fakten zum Vorhaben.
Seit dem 24. September greift eine Haushaltssperre. Ab sofort dürfen nur noch unbedingt notwendige Ausgaben getätigt werden, damit Neukölln ohne Minus ins neue Jahr starten kann. Das ist das dritte Mal innerhalb eines Jahres, dass das Bezirksamt die Notbremse ziehen muss.
Oktober
Vor 120 Jahren wurde Werner Seelenbinder geboren, vor 80 Jahren starb er unter dem Fallbeil. Pünktlich zum doppelten Gedenktag erinnern nun zwei Tafeln am Eingang des Sportstadions Oderstraße an den Ausnahme-ringer und Nazigegner.
Der Kindertreffpunkt Blue-berry an der Ecke Reuter- und Erlanger Straße ist saniert, das neue Gebäude für Jugendliche fertiggestellt. Der Container am Boddinplatz, der bisher als Ausweichquartier genutzt wurde, bekommt neue Nutzer. Dort eröffnet eine Anlaufstelle für junge Menschen, die Diskriminierung oder Gewalt erfahren haben.
Das Umweltbildungszentrum im Britzer Garten gibt es nicht mehr. Ein Feuer hat es in der Nacht vom 23. auf den 24. Oktober vollständig zerstört. Es wird von Brandstiftung ausgegangen. Das zwei Millionen Euro teure Umweltbildungszentrum war erst vor sieben Jahren eröffnet worden.
November
Endlich nach zwei Jahren Zwangspause öffnet das Eisstadion an der Oderstraße wieder für Besucher. Die lange Schließung war der defekten Ammoniak-Kälteanlage geschuldet. Sie musste umgerüstet und an die aktuellen Sicherheitsstandards angepasst werden.
Janine Wolter ist die neue SPD-Stadträtin für Bildung, Kultur und Sport. Die 43-Jährige folgt auf Karin Korte, die ihr Amt zum 31. Oktober aufgegeben und sich in den Ruhestand verabschiedet hat.
Berlin hat ein „Dekoloniales Denkzeichen“. Die Skulptur namens „Earth Nest“ steht zwischen den beiden Gebäuden des Eine-Welt-Zentrums Global Village auf dem ehemaligen Kindl-Areal. Es soll die Völker und Territorien ehren, die unter der Gewalt des Kolonialismus gelitten haben oder noch immer betroffen sind.
Dezember
Die ersten 110 Parteien haben ihre Wohnungen auf den ehemaligen Buckower Feldern bezogen, im Laufe des Monats folgen 54 weitere. „Stadt und Land“ begrüßt ihre ersten Mieter mit einem Fest.
Das Landgericht Berlin verurteilt die Neonazis Sebastian T. und Tilo P. zu Haftstrafen von dreieinhalb und knapp drei Jahren. Die 38- und 41-jährigen Männer gelten als Köpfe der Neuköllner Anschlagsserie, die mehr als 70 Taten umfasst. Seit 2016 wurden Autos von Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, angezündet. Außerdem kam es zu zahlreichen Bedrohungen, Einschüchterungen, Sachbeschädigungen und ultrarechter Propaganda.
Mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg beantragt Neukölln beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein Modellvorhaben: Im nächsten Jahr soll sauberes Cannabis in speziellen Läden an registrierte Teilnehmer verkauft werden. Auf fünf Jahre ist das wissenschaftlich begleitete Projekt angelegt.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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