Über den Umgang mit Obdachlosen
Streetworkerinnen halten den Leitfaden des Neuköllner Sozialstadtrats für wenig konstruktiv
Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU) hat kürzlich einen „Leitfaden Obdachlosigkeit“ vorgelegt. Darin werden zum ersten Mal Orte genannt, an denen der Aufenthalt von Obdachlosen nicht mehr geduldet werden soll. Streetworkerinnen vom Verein „Gangway – Drop out“ sehen das Papier eher kritisch.
Ziel des Leitfadens sei der „transparente Umgang mit Obdachlosigkeit im öffentlichen Raum“, so Liecke. Er solle dazu beitragen, Vertrauen in das Handeln des Bezirksamts aufzubauen und auch strittige Entscheidungen nachvollziehbar zu machen. Das Papier nennt Plätze, an denen Menschen ohne Bleibe besonders häufig übernachten, darunter der Hermann- und Weichselplatz, die Thomashöhe, der Anita-Berber-Park, das Maybachufer und die Umgebung des S-Bahnhofs Neukölln. Dort werde der Aufenthalt geduldet, solange es nicht zu „erheblichen Einschränkungen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs“ des öffentlichen Raums komme, heißt es in dem Leitfaden. Jeder Einzelfall sei dabei abzuwägen.
Anders sieht es an den „besonders schützenswerten Orten“ aus. Dazu zählen Friedhöfe sowie Spielplätze, Kitas und Schulen samt angrenzender Wege und Grünflächen. Dort sollen die Obdachlosen verschwinden. Falls sie das Angebot auf einen Platz in einer Notunterkunft nicht annehmen und nicht freiwillig gehen, soll das Ordnungsamt nach einer Frist von mindestens einer Woche räumen.
Tabea Lenk und Susanne Raml sind zwei von vier Straßensozialarbeitern bei „Gangway – Drop out“, die tagtäglich mit Neuköllner Obdachlosen zu tun haben. Bezahlt werden sie von der Senatsverwaltung und vom Bezirk. „Wir waren an dem Leitfaden in keiner Weise beteiligt und fühlen uns überrumpelt“, so Lenk. Generell irritierend findet sie, dass der Sozialstadtrat kein sozialpolitisches, sondern ein rein ordnungspolitisches Papier verfasst habe. „Wie gehe ich mit Obdachlosigkeit um, wo muss ich Geld in die Hand nehmen, wie finde ich Orte, wo es weniger Nutzungskonflikte gibt? Das alles steht nicht drin.“
Eine Räumung sei für viele Menschen eine „Vollkatastrophe“. Manchmal auch für die Streetworker, die vielleicht gerade für einen Obdachlosen Anträge beim Jobcenter und bei der Krankenkasse gestellt haben, und plötzlich ist er von der Bildfläche verschwunden. „Taucht er nach einem halben Jahr wieder auf, können wir von Neuem anfangen.“ Ein Platz in einem Wohnheim – ohnehin Mangelware – käme für viele nicht in Frage. Eine psychisch kranke oder suchtmittelabhängige Person könne sich nicht plötzlich ein Zimmer mit mehreren teilen und werde auch von den meisten Einrichtungen erst gar nicht aufgenommen. „Unser Auftrag ist es auch nicht, die Menschen unterzubringen, sondern sie in einer Art und Weise zu unterstützen, wie sie es selbst wollen“, sagt Susanne Raml.
Ihrer Meinung nach wird in dem Leitfaden viel zu wenig differenziert. Es gebe Obdachlosigkeit aus den unterschiedlichsten Gründen. Viele, die auf der Straße lebten, seien selbst an einer sauberen „Platte“ interessiert. Andere übernachteten neben einer Kita oder Schule, störten oder belästigten aber niemanden. „Und warum halten sich einige auf Friedhöfen auf? Weil es dort Wasser gibt und sie sich waschen können“, so Tabea Lenk.
Die beiden sind dafür, das Programm „Housing First“ konsequent auszubauen, das Obdachlosen Wohnungen mit echten Mietverträgen vermittelt. Doch die Wartezeiten betragen bis zu zwei Jahren. Dabei fehlt es nicht nur an Wohnungen, sondern auch an Sozialarbeitern.
Wer sich für den Leitfaden interessiert, findet ihn unter bwurl.de/192a.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.