Zu alt, zu krank oder im Weg
Bezirk weist ein großes Missverhältnis zwischen Baumfällungen und Neupflanzungen auf
Die Baumbilanz im Bezirk ist schlecht. Wurden in den Jahren 2019 bis 2021 nachweislich rund 5800 Bäume gefällt, sind nur knapp 1300 gepflanzt worden. Das geht aus der Antwort von Umweltstadtrat Jochen Biedermann auf eine Anfrage des Bezirksverordneten Christian Hoffmann (beide Bündnis 90/Die Grünen) hervor.
Die meisten Bäume, nämlich insgesamt 2831, sind in dem genannten Zeitraum auf Privatgrundstücken gefällt worden, gefolgt von Grünanlagen (1713), Straßen (859) und bezirklichen Liegenschaften (384). Bei den Neupflanzungen handelt es sich zum größten Teil um Ersatzpflanzungen, die beispielsweise angeordnet werden, wenn die Berliner Wasserbetriebe Leitungsarbeiten durchführen und dabei Bäume weichen müssen. Doch viele Antragsteller von Fällgenehmigungen zahlen stattdessen eine Ausgleichszahlung. „Wenn beispielswiese auf einem Privatgrundstück gebaut wird, verschwinden ja auch die Standorte für die Bäume“, erklärt der Verordnete Christian Hoffmann.
Geht es Straßenbäumen an den Kragen, weil dort etwa eine Baustellenzufahrt eingerichtet werden muss, ist grundsätzlich eine Ausgleichszahlung fällig. Rund eine Million Euro floss zwischen 2019 und 2021 in diesen Topf. Mit dem Geld werden laut Stadtrat Biedermann Jungbäume gepflanzt und bewässert, aber auch die Mahd von Wiesen bezahlt, Gehölzarbeiten erledigt oder Gewässer gepflegt.
Besorgniserregende Entwicklung
Die Diskrepanz zwischen Neupflanzungen und Fällungen bezeichnet der Stadtrat als besorgniserregend. Sie sei aber kein Neuköllner Phänomen. Ein Grund für die Fällungen liege im Alter der Park- und Straßenbäume. Viele wurden in den 50er-Jahren in die Erde gebracht und haben das Ende ihres Lebens erreicht. Andere stehen zu dicht und altern vorzeitig. Manchmal müssten dann zwei schwächere weichen, um den stärksten zu erhalten, so Biedermann.
Zudem setzt der Klimawandel mit Hitze, Sturm und Starkregen den Bäumen zu. Schädlinge, Pilze, Viren und Bakterien hingegen haben zunehmend leichtes Spiel. Als Beispiel nennt Biedermann den Eichenprozessionsspinner, Massaria-Pilzbefall bei Platanen und Linden, Pseudomonas-Bakterien an Rosskastanien. Ebenfalls schädigend für die Pflanzen sind Straßenverkehr, Neubau, unterirdische Leitungsarbeiten und Streusalz in der kalten Jahreszeit.
Nicht alle Standorte geeignet
Auch Nachpflanzungen sind nicht immer einfach zu verwirklichen. „Nicht alle unbesetzten Baumstandorte sind nachhaltig geeignet. Jeder einzelne Standort muss auf seine Eignung geprüft werden, damit Jungbäume längerfristige Entwicklungschancen haben“, so der Stadtrat. Schließlich gesellt sich das altbekannte Problem des Geld- und Personalmangels im Straßen- und Grünflächenamt hinzu. Jochen Biedermann hofft, dass eine Personalstelle im Bereich Straßenbäume bald wieder besetzt werden kann und im Herbst mehr Neupflanzungen möglich sind.
Einiges sei dennoch in Arbeit. So erhalten etliche Winterlinden an der Weisestraße größere Baumscheiben, an der Bouchéstraße ist das bereits geschehen. Das Projekt „Klimaresiliente Hasenheide“ und ein 250-Millionen-Euro-Programm für bezirkliche Friedhöfe sehen überdies Neupflanzungen von robusten Bäumen vor. „Das Ruder herumreißen werden wir nur, wenn wir beides mit großem Nachdruck gleichzeitig vorantreiben: die Lebenserwartung unserer Bäume erhöhen und neue pflanzen", so Biedermann.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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